Fotos Alexandra Ivanciu, Leipzig 2023

gastgeben. greater form x MdbK

Projekt:
Januar bis Dezember 2023
greater form Projektraum und
Museum der bildenden Künste Leipzig

Ausstellung:
10.11.-08.12.2023
Allee-Center Leipzig

Am Projekt und der Ausstellung waren beteiligt:
von greater form Aleina, Alina, Alondra, Antonio, Aurelia, Babi, Chelsea, Christine, Daniel, Danzi, Eileen, Emili, Fine, Irma, Isabella, Karl, Karolina, Lara, Laura, Lea, Leni, Leon, Lili, Linda, Luda, Luise, Mai, Maike, Max, Mia, Mia, Natalie, Oskar, Paco, Pazia, Raja, Robin, Sofia, Tamina, Tomas, Valeria, Michel Esselbrügge, Mirko Gust, Rami Hariri, loRena Margraf, Philipp Rödel, Lina Ruske, Silke Schetelig, Christina Weidenbach von greater form
sowie
vom MdbK Hermine Brietzel, Jörg Dittmer, Sylva Dörfer, Marcus Andrew Hurrtig, Dennis Kuhn, Malu Kunze und Stefan Weppelmann

 

Das Projekt und die Ausstellung

Schon 2022 arbeiteten die Projektgruppe greater form und Kids aus Leipzig-Grünau mit dem Museum der bildenden Künste Leipzig (kurz: MdbK) zusammen. Damals haben greater form und die Kids die multimediale Installation “Der Albtraumvorhersager” als Ausstellung im MdbK gezeigt.

In 2023 haben wir nun das Museum unter dem Thema “gastgeben” nach Grünau eingeladen. Zusammen wurde künstlerisch geforscht. Die Frage war: Was haben die Kids, das MdbK, greater form und Grünau gemeinsam? Zu Beginn des Projektes brachte das Museum Gastgeschenke mit. Zum Beispiel eine Fotografie von Evelyn Richter, ein Bild von Andreas Gursky oder eine Werbefläche auf der Leipziger Baumwollspinnerei. Die Geschenke gaben wichtige Anregungen für die kreative Arbeit. Es wurde viel zum Thema Gastgeben ausprobiert. Mitarbeitende vom MdbK besuchten die Kids außerdem immer wieder im Projektraum von greater form in Grünau. Und die Kids und greater form waren mehrmals im Museum. Im Laufe des Jahres lernten sich alle Beteiligten besser kennen und es entstanden viele Kunstwerke, Performances sowie Aktionen im öffentlichen Raum.

Zum Abschluss des Projektes entstand eine interaktive Ausstellung im Allee-Center Leipzig. Vierzehn Stationen zeigen Ereignisse und Ergebnisse aus dem Projektjahr. An einigen Stationen kann während der Laufzeit weitergearbeitet, gegessen, gechillt, gebaut, gespielt und geträumt werden. Die bewegliche Ausstellungsarchitektur ist lebendig und kann jederzeit neu angeordnet werden. Während der Öffnungszeiten laden die Kids hier zum Mitmachen ein.

Der Hintergrund

Die Zusammenarbeit zwischen greater form und dem MdbK bestand 2023 nicht nur in der gemeinsamen Arbeit mit den Kids in Grünau. Wir Erwachsenen haben uns das ganze Jahr über in regelmäßigen Abständen getroffen. Wir haben Arbeitsweisen und Erfahrungen ausgetauscht und zusammen Fragen, Ideen und Vorgehensweisen für das Projekt entwickelt. Wir haben praktisch erprobt, wie ein kleines, sozial engagiertes Kunst- und Bildungs-Projekt und ein großes Kunst-Museum zusammenarbeiten können. Wir haben uns mit den politischen Dimensionen einer solchen Zusammenarbeit befasst. Und wir haben zusammen daran gearbeitet, wie unser Projekt nach außen vermittelt werden soll. Wir haben viel voneinander gelernt über die jeweiligen Sichtweisen und Herausforderungen.


Die Stationen

1 Pegasus

Im Projektraum kommt es immer wieder zu Konflikten zwischen den Kids. Das kennen wir schon gut aus der Vergangenheit. In diesem Jahr wurden sie direkt zum Projektstart besonders akut und brauchten viel Fürsorge. Die Konflikte haben ihren Ursprung zumeist in ungestillten Bedürfnissen. Sie äußern sich lautstark in Ungerechtigkeitsgefühlen und Abwertungen Anderer. Spontan setzte Christina von greater form ein geflügeltes Einhorn-Kuscheltier als Konflikt-Vermittlerin ein. Sie verlieh dem Wesen eine Stimme und nannte es “Peace-Pegasus, mit dem Horn für Freundschaft”. Das funktionierte gut und setzte neue Energie im spielerischen Miteinander frei.
Daraufhin machten wir Erwachsenen von greater form den Vorschlag für ein erstes Gemeinschaftswerk: Ein riesiges Pegasus-Pferd aus Pappe, das von beiden Seiten bemalt werden kann. Die Kids fanden die Idee gut.
Dann stellte Hermine aus dem MdbK fest: “Es gibt da ein fliegendes Nilpferd im Museum, das noch nie ausgestellt wurde! Die winzige Skulptur “Pegasus” von Hartmut Klopsch von 1985!” Klar: der Große soll den Kleinen besuchen fliegen. Zwei Monate lang konnte dieses Aufeinandertreffen im MdbK bestaunt werden.
Geflügelte Wesen sind für viele faszinierend. Darum war der MdbK-Mitarbeiter Marcus im Sommer in Grünau zu Gast. Er hatte Pegasus-Bilder aus der Kunstgeschichte und Pop-Kultur dabei. Im TV-Studio der Kids entwickelte sich ein Gespräch über Kunst, Wahrheit, Mythen, Bildproduktion, Geschichten und Übersetzungen.


2 Günter Lauch Bar

Die erste öffentliche Aktion des Gastgebens fand während der Museumsnacht im Mai statt: Die Kids waren mit ihrer “Günter Lauch Bar” ins MdbK eingeladen.
Seit 2019 dient die Bar in verschiedenen Formen als Aktionsformat. Für die Museumsnacht baute Philipp von greater form eine neue Bar, die wir Erwachsenen gemeinsam mit den Kids gestalteten.
Außerdem entstand der “Pommes-Teppich”. Die Kids kommen sehr oft hungrig ins Projekt. Dieses Jahr haben wir fast immer und in wechselnden Verantwortlichkeiten zusammen gekocht. An einem Tag wurden die “greater pommes” erfunden: Pommes in unterschiedlichen Formen und Größen. Stolz wurde das Backblech fotografiert. Dann wurde das Motiv ausgewählt, um einen Teppich zu bedrucken. Denn, so eins der Kids: “Zum Gastgeben gehört es, sich wohlzufühlen und dafür brauchen wir einen Teppich.”
Zusammen mit einer Gruppe älterer Kids wurde die Bar während der Museumsnacht zum Treffpunkt. Es gab kostenlosen, selbstgemachten Bubble-Tea. Bubble-Tea in der Innenstadt sei zu teuer, so die Kids. Außerdem erfanden die Kids einen Persönlichkeitstest. Antworten auf verschiedene Fragen nach dem Lieblingskuscheltier führten zur Einschätzung, welches Bubble-Tier mensch selber ist – und welcher Drink der passende ist.
In der Ausstellung dient die Bar als Aktionsfläche. Für spontane Ideen. Gleichzeitig ist sie unser Info-Tresen.


3 Tafel

Zum Gastgeben gehört eine Tafel. Und da wir gerne große Dinge bauen, bauten wir eine sehr große, wenn nicht sogar Leipzigs größte Tafel für die Ausstellung. Diese dient als Treffpunkt und ist gleichzeitig Ausstellungsfläche für verschiedene Arbeiten aus dem Projekt: Unser widerspenstiges Geschirr, das Michel von greater form als Idee eingebracht hat. Die Glasobjekte, die so richtig auch nicht mehr zum Benutzen funktionieren. Das Bemalen hat dafür umso mehr Spaß gemacht. Ein paar kurze Videos kann man hier auch anschauen. Und was machen eigentlich die Kakteen hier?
Zur Eröffnung der Ausstellung gab es hier Torten mit Zuckerbildern oben drauf. Alle Beteiligten konnten sich ein Motiv auswählen – wie beim Profilbild bei WhatsApp oder Telegram!
Die Kids lieben Torten, ein paar wollen sogar Konditor*in werden, haben bereits ein Praktikum in einer Konditorei absolviert oder diverse Torten-Experimente im Projektraum durchgeführt. Leider sind Torten aber ja zum Essen da, sodass wir nun nur noch die Fotos der Torten zeigen können.


4 Traumreise

Um in das Thema Gastgeben einzusteigen, planten wir ein Fest zum Kindertag am 1. Juni: Die Kids empfingen zusammen mit den Erwachsenen von greater form an diesem Tag zum ersten Mal die Museumsmitarbeiter*innen in Grünau. Hierfür wurden verschiedene Stationen mit Aktionen zum Kennenlernen entwickelt. Während des Events wurden diese von den Kids betreut und sie übernahmen während des ganzen Tages die Verantwortung für ihre Stationen. Die Kids ermöglichten den Gäst*innen anhand der Aktionen und deren Ausgestaltung Einblicke in ihre Lebenswelten.
Die hier gezeigte Station “Traumreise” wurde von Christine in Zusammenarbeit mit Christina von greater form erarbeitet und lädt ins Doppelstockbett zu einer Reise durch Grünau ein. Die Besucher*innen können entscheiden, ob sie fliegend oder schwimmend träumen wollen. Die Methode der Traumreise verweist auf therapeutische Erfahrungen von Christine. Zudem liegt ein Persönlichkeitstest aus Christines Lieblings-Teenager-Magazin aus, der verrät, ob mensch lieber eine Meerjungfrau oder eine Fee wäre.


5 Mitmachstation

Neben der Station “Traumreise” (siehe Station 4) entwickelten die Kids für den Kindertag weitere Kennenlern-Stationen. Vier davon haben wir mit in die Ausstellung genommen. “Döner oder Pizza” ist wie ein TikTok-Spiel, nur analog. Mensch muss sich zwischen zwei Bildern und damit Inhalten entscheiden. Zum Beispiel zwischen Tina Turner und Whitney Houston, zwischen EuroShop und Tedi oder eben zwischen Döner und Pizza. Die Bilder zeigen, was die Kids gerade interessiert. Welche TV-Shows sie gucken. Welche Medien sie konsumieren. Und welche Sehnsüchte sie haben.
In der “Tanzschule” brachten Eileen, Mia, Maike und Natalie den Besucher*innen ihre Lieblings-Dance-Moves von TikTok bei.
Für „Sandmann“ lud Paco die Gäst*innen in eine Hängematte ein. Er las ihnen aus dem DDR-Kinderbuch „Sandmann sucht die neue Stadt“ (1969) vor. Und er bat sie, spontan zu zeichnen. „Sandmann…“ ist einer von Pacos Lieblingstexten. Sein Vater kann ihn komplett auswendig.
Die “Schminkstation” durfte natürlich auch nicht fehlen. Sie erklärt sich von selbst. Besonderheit: Kids schminken hier Erwachsene, nicht andersherum!
Neben diesen vier Aktionen haben sich die Kids neue Kennenlern- und Mitmach-Aktivitäten ausgedacht. Zum Beispiel Stullen kneten, Freundschaftsbänder machen und Kopier-Experimente.
Die gesamte Ausstellung und ihre bewegliche  Architektur ist eine Weiterentwicklung der Stationen vom Kindertag.


6 Chillstation

Ein ganzer Raum oder mindestens ein Ort zum Chillen ist fester Bestandteil jeder Ausstellung von greater form und den Kids aus Leipzig-Grünau! Die Kids betonen es immer wieder: “Mensch braucht einen Platz zum Ausruhen in und von der Kunst.” Außerdem sind die Kids Meister*innen im Budenbauen und Schutzräume erschaffen.
Die Chillstation kann je nach Bedarf angepasst, erweitert und zugehängt werden. Außerdem finden sich hier ausgewählte Lieblingsbücher der Kids und aus dem greater form Projektraum.


7 Bootsfahrt

Wir hatten unsere Gäst*innen vom MdbK gebeten, Gastgeschenke zum Kindertag (siehe Station 4) mitzubringen. Damit wir uns besser kennenlernen können. Und damit wir Anregungen für die kreative Arbeit bekommen.
Vor allem die Fotografie “An der Museumsinsel” von Evelyn Richter von 1972 konnte das Interesse der Kids über einen längeren Zeitraum immer wieder wecken. Es zeigt einen Dampfer namens Traumland auf einem Berliner Kanal. Als Reaktion darauf hatten wir Erwachsenen von greater form und die Kids eine Idee: “Lasst uns einen Bootstrip mit der MS Weltfrieden auf den Kanälen von Leipzig machen!”. Als Abschluss vor der Sommerpause. Und als Aktion in der Öffentlichkeit. Daniel meinte: “Traumland und Weltfrieden: Das passt, denn ich träume von Frieden!” Die Bootsfahrt sollte gleichzeitig Party und Demo sein. Wir beschlossen, eine Playlist für laute Musik zu erstellen. Außerdem malten wir Banner mit Sprüchen drauf. Die wurden am Ausflugsdampfer befestigt. Hierfür fragten wir Erwachsenen die Kids, was sie den Menschen in Leipzig sagen wollen.
Die Freude über die gemeinsame Unternehmung war groß. Auch bemerkten wir erneut, dass einige Kids oft einsam sind. Die Projekt-Gruppe stellt einen wichtigen Zusammenhalt für sie dar.


8 Pferdewiese

Silberritter, Reifenpower, Pflanzo – jedes der 22 Pferde hat einen klingenden Namen und eine Geschichte. Viele haben einen Gold-Po. Nur eines heißt auch so. Hinzu kommen fünf Mini-Pferde von Hermine aus dem MdbK. Diese sind mehr als nur zu Gast. Sie sind mit neuen Namen aufgenommen in den Kreis der Bewohner*innen der “Pferdewiese”. Über alle weiß Mia Bescheid: Wer zu welcher Familie gehört. Wer mit wem befreundet ist. Wer wen nur mitspielen lässt, weil sie noch klein ist. Warum Fabiana so eine Tussi ist. Wer in Goldhufe verliebt ist. Und dass Schlangi Schlango mitspielen darf, obwohl er nicht so hübsch ist und aus einem anderen Reich kommt.  
Alle kennen sie, aber nur wenige hier können sie sich auch leisten: die teuren Tierfiguren der Spielzeugfirma Schleich. Nachdem ein Kind welche mitbrachte, schlug Mia vor, dass der Raum auch welche haben sollte. Denn das, was dem Raum gehört, gehört allen. So lautet eine der gemeinsam verabredeten Regeln. Per ebay wurden gebrauchte Schleich-Pferde bestellt und mit anderen Figuren kombiniert. Drei Monate lang haben Mia und Silke von greater form an der “Pferdewiese” gearbeitet. Denn die neuen Pferde brauchten ein Zuhause. Dafür wurde das verwendet, was da war. Darin sind die Kids gut. Verpackungen, Stoffreste und Stöcke verwandelten sich nach und nach in Ställe, Futterplätze, Bäume und Sträucher. Die Pferde bekamen Kopfschmuck, Hufschutz und Lecksteine aus Ton. Und so findet das Spezial-Wissen der Kids immer wieder seinen Platz im Spiel und in der Gestaltung.


9 Katalogübermalungen

Marcus vom MdbK ließ den Kids eine Kiste mit Katalogen zu einer seiner Ausstellungen im MdbK nach Grünau liefern. Seine Aussage: “Ihr könnt damit machen, was ihr wollt.”
Rena, die als Praktikantin eine Zeitlang im Projekt dabei war, nutzte die Kataloge als Anlässe zur Interaktion mit den Kids. Rena zeichnete, übermalte oder beklebte die Abbildungen. Dies geschah in Reaktion auf die Gespräche, die Rena parallel mit den Kids führte. Oder die Kids gingen selbst in die Bild-Bearbeitung. So wurden die Kataloge zu einem Ort, an dem die täglichen Reaktionen und Emotionen einen Platz bekommen konnten. Die Spuren der Gespräche bleiben hier auch in Zukunft noch sichtbar. Genauso wie die gemeinsam mit Rena verbrachte Zeit.


10 Bühne und Billboard

Einige Kids lieben es, zu tanzen, Choreografien zu entwickeln, sich in ausgefallenen Outfits zu präsentieren oder gymnastische Kunststücke vorzuführen. Oft muss auch angestaute Energie raus oder der Körper will einfach Bewegung. Um diesen Bedürfnissen nachzukommen und spontane Performances zu ermöglichen, gibt es eine Bühne mit Tanzboden in der Ausstellung.
Auf der Bühnen-Rückwand ist eines unserer Gemeinschaftswerke zu sehen: Während der Sommerferien entstand dieses riesige Bild. In zwei Wochen wurde Schritt für Schritt und mit Schichtung, Wiederholung und Übermalung gearbeitet. Hermine und Sylva aus dem MdbK haben auch mitgemacht. Auf dem Gelände der Leipziger Baumwollspinnerei haben wir dann das Bild als Werbeplakat für unsere Ausstellung selbst plakatiert. Dabei haben alle mitgeholfen, auch ein Elternteil aus Grünau. Der Platz auf der Plakatwand war eines der Gastgeschenke vom Museum.
Die “Glubschis” auf dem Bild sind niedlich. Manche Kids haben sie als Kuscheltiere, andere hätten sie gerne als solche. “Glubschis” finden fast alle Kinder gut, egal ob sie in Grünau wohnen oder woanders.  Zu sehen sind außerdem unzählige weitere Kuscheltiere und Alltagsgegenstände, Feen-Umrisse, Comic-Figuren, Flammen, Torten und Messer. Das zeigt die große Altersspanne der Kids und die Vielfalt ihrer Themen und Interessen.


11 Emo-Box

In diesem Jahr gab es viel Wut im Projektraum. Und Streit. Und nicht selten auch Tränen. Die Kids erleben viele schwierige Dinge in ihrem Leben. Wir Erwachsenen von greater form haben uns sehr viel Zeit genommen, um uns weiterzubilden. Und alles besser zu verstehen. Und um gut für die Kids da zu sein. Wir mussten viel deeskalieren und neue Regeln aufstellen. Und uns um uns selbst kümmern. Eine Zeitlang war das wichtiger als Kunst zu machen.
Bei einem gemeinsamen Besuch im Museum haben die Kids dort ein Sofa gefunden. Sie nannten es Wut-Sofa. Wir wollten es mit nach Grünau nehmen und zusammen umgestalten. Das ging aber nicht. Also haben wir Sitzsäcke organisiert. Die sind eh viel gemütlicher. Wir Erwachsenen von greater form hatten die Idee, daraus Wut-Säcke zu machen. Die Kids hatten aber keine Lust mehr auf nur Wut. Einen Ort zum Rauslassen von allen möglichen Gefühlen sollte es trotzdem geben. Darum haben wir die “Emo-Box” gebaut. Mit Sack und Sprüchen an den Wänden. Wo alles rein und raus kann, was gerade da ist.


12 Window Colour

Diese Station lädt auch zum Mitmachen ein. Sie wurde extra für die Ausstellung von Mirko von greater form eingebracht. Die Idee: Kunstwerke während der Ausstellung entstehen zu lassen. Die Anregung hierzu kam durch drei Gastgeschenke aus dem MdbK und die Reaktion der Kids darauf: Ein Evelyn Richter Ausstellungskatalog, eine Hinterglasmalerei-Kreativ-Box aus dem Museums-Shop sowie eine gerahmte Abbildung von Andreas Gursky. Die Kids haben während der Projektzeit einigen Fotos im Katalog Sprechblasen hinzugefügt. Die Hinterglasmalerei erinnert an Window Colour. Das Andreas Gursky Bild wurde direkt mit Window Colour bearbeitet. Um es ein bisschen lebendiger zu machen.
Hier in der Ausstellung können jetzt Reproduktionen aus dem Evelyn Richter Katalog mit Window Colour bearbeitet werden. Neun Fotografien von Evelyn Richter stellen auf unterschiedliche Art und Weise Bezüge zu Kindheit und Jugend her. Was ist eigentlich auf dem Bild zu sehen? Warum ist es wohl entstanden? Welche Geschichte erzählt es? Welche Gefühle und Gedanken löst es bei mir aus? Was passiert, wenn ich dem Bild eigene Elemente hinzufüge? Und was, wenn am nächsten und am übernächsten Tag jemand anderes an dem Bild weiterarbeitet?


13 Babi Scans

Neben der Beschäftigung mit einem Thema wie Gastgeben passieren im Projektraum von greater form immer auch viele andere Sachen. Die Kids bringen eigene Ideen mit, die sie umsetzen möchten. Oder sie experimentieren spielerisch mit Dingen und Materialien vor Ort. Babi hat in diesem Jahr den Kopierer für sich entdeckt und ständig damit gearbeitet. Er hat Bilder kopiert, Gegenstände oder sein Gesicht – und sich dabei extrem gefreut.
Babis Experimente haben Rami von greater form dazu inspiriert, eine Video-Arbeit und ein Heft zu machen. Den Sound dafür hat er im Projektraum aufgenommen. Philipp von greater form hat aus einzelnen Kopien eine Tapete für die Ausstellung gestaltet.
Hieran zeigt sich gut: Im offenen Prozess entstehen Kunstwerke, an denen viele beteiligt sind. Mal können wir nicht mehr sagen, wer wann was genau gemacht hat. Und mal wurde in verschiedenen Schritten von unterschiedlichen Personen an einem Werk gearbeitet. Wie in diesem Fall. Stets werden alle Beteiligten nach Rückmeldungen gefragt und um Freigabe gebeten.


14 Portrait Christine 2023

Bereits 2021 führte Lina von greater form ein ausführliches Gespräch mit Christine. Damals waren greater form 1 zu 1 mit den Kids spazieren. Um den Kontakt zu halten und draußen Kunst zu machen. Denn: Es war Corona-Pandemie und der Projektraum hatte geschlossen! Während des Spaziergangs zeigte Christine Lina ihre Lieblingsplätze im Robert-Koch-Park. Dabei unterhielten sie sich unter anderem über Ideen vom Leben und von Ausbildung, Arbeitsbedingungen, Beziehungen und (Regenbogen-)Familie.
Letztes Jahr konnten die zwei das daraus entstandene Video in der Ausstellung “Der Albtraumvorhersager – greater form im MdbK” zeigen. Jetzt ist es online verfügbar auf dem YouTube-Kanal von greater form.
Diesen Sommer kam Christine auf Lina zu und wollte ein weiteres Interview machen. Sie wollte erzählen, was sich in den zwei Jahren entwickelt hat. Welche Ideen sich eingelöst haben und was heute komplett anders ist.
Erneut gibt Christine, heute 19 Jahre alt, unverblümt und direkt tiefen Einblick in ihr Leben. Sie berichtet von der Beziehung zu ihrem Vater, dem Alleinewohnen und ihrem ersten Mal. Sie spricht über ihren Kinderwunsch. Und erzählt von ihrem schwierigen Weg zur Ausbildung als Krankenpflegehelferin.


Die Beteiligten

Die am Projekt beteiligten Kids waren zwischen sechs und neunzehn Jahre alt und kommen aus Leipzig-Grünau. In ihrer Freizeit kommen sie selbstbestimmt und meist regelmäßig in den Projektraum von greater form. Einige schon seit mehreren Jahren. Sie bringen eigene Themen, Probleme, Fragen, Ideen und künstlerische Ausdrucksformen mit. Sie setzen Einzelprojekte um oder arbeiten an Gemeinschaftswerken mit. Dabei haben sie viel zu erzählen. Sie haben immer Lust, etwas zu kochen und manchmal wollen sie auch einfach nur abhängen und chillen.

Die Gruppe greater form fördert die selbstbestimmte Teilhabe von Kindern und Jugendlichen am kulturellen und künstlerischen Leben der Stadt. Und die gleichberechtigte künstlerische Zusammenarbeit von Kids und Erwachsenen. Seit 2015 machen sie Projekte in der Großwohnsiedlung Leipzig-Grünau sowie Ausstellungen in Leipzig und an anderen Orten. Seit 2019 betreiben sie den greater form Projektraum in Grünau. Hier forschen sie mit den Kids des Stadtteils zu Themen wie Herkunft, Armut, Gewalt, Freundschaft und Liebe. Ihr Wissen aus der Arbeit mit den Kids teilen greater form in Publikationen, Vorträgen und Workshops.

Das Museum der bildenden Künste Leipzig ist das große Kunst-Museum mitten im Zentrum von Leipzig. Engagierte Bürger*innen haben es vor über 150 Jahren gegründet. Hier können alle Menschen Kunstwerke aus verschiedenen Jahrhunderten erleben. Diese Kunstwerke können Zeichnungen, Gemälde, Fotos, Skulpturen oder Videos sein. Im MdbK gibt es eine Dauerausstellung, die immer zu sehen ist. Und es gibt Sonderausstellungen, die ein paar Monate dauern. Das Museum ist ein Ort für Erlebnisse und Erfahrungen, zum Nachdenken und Erinnern, Verweilen und Gestalten.

Kategorie: Ausstellungen, Kooperationen, Projekte

Zurück